Ansonsten pilgern wir!

Seit vielen Jahrhunderten kommen regelmäßig Pilgerinnen und Pilger zum Grab des Apostels Matthias nach Trier.

Wer in diesen Wochen vor und nach Pfingsten im Trierer Süden unterwegs ist, wundert sich vielleicht über feierliches Glockenläuten zu sehr ungewöhnlichen Tageszeiten. Ich wohne in Trier Süd kaum 100 Meter entfernt von der Benediktinerabtei St. Matthias und freue mich jedes Jahr auf diese Zeit und das häufige Geläut, zeigt es doch an, dass wieder Matthiaspilger am Ziel ihrer Wallfahrt in St. Matthias angekommen sind. Hier wird seit mehr als 800 Jahren das einzige Apostelgrab nördlich der Alpen verehrt, das jenes Apostels Jesu, von dem die Apostelgeschichte berichtet, dass er nach dem Verrat des Judas Iskariot den Kreis der Zwölf wieder vollständig machte.
Und wenn die Pilgerinnen und Pilger in größeren oder kleineren Gruppen ankommen, sammeln sie sich auf dem Freihof vor der Kirche, werden vom Pilgerpfarrer oder seinem Vertreter freundlich empfangen und ziehen unter Glockenläuten in die Kirche. Selbst wenn man wie ich nur die kurze Strecke der Wallfahrt aus der Stadt gegangen ist, ist es ein erhebendes Erlebnis so empfangen zu werden und in das gemeinsame Gotteslob einzustimmen.

Von der Nordsee bis zu den Alpen

Nun liegen mehr als 1.000 Jahre zwischen dem Tod des Apostels Matthias und dem Beginn der Verehrung im 12. Jahrhundert. Daher ist in der Vergangenheit gelegentlich leidenschaftlich darüber gestritten worden, ob die in der Krypta der Kirche aufbewahrten Gebeine tatsächlich materiell echt sein könnten, was aber für Verehrung und Wallfahrt ohne Bedeutung ist. Jedenfalls wurden Reliquien des Apostels Matthias 1127 bei Abrissarbeiten am Vorgängerbau der heutigen Kirche aufgefunden. Die Nachricht verbreitete sich wie das sprichwörtliche Lauffeuer und löste alsbald einen großen Pilgerstrom aus mit einem Einzugsgebiet von der Nordsee bis zu den Alpen. Die Weihe der noch unfertigen Kirche durch Papst Eugen III. sowie dessen Anerkennung der Matthiasverehrung taten ihr Übriges.
Die herausragende Bedeutung der aufblühenden Wallfahrt veränderte nach und nach den Namen von Kirche und Abtei zunächst in den Doppelnamen St. Eucharius / St. Matthias, schließlich dann zu St. Matthias. Von Anfang an kamen die Pilgergruppen aus Eifel und Hunsrück, dem Saarland und Luxemburg, dem Kölner Raum und dem Niederrhein, dem Rheingau und Odenwald, dem Bodenseeraum und Schwaben.
Die Pilger schlossen sich zu Bruderschaften zusammen – auf Verbindlichkeit und Dauer angelegte Gemeinschaften unter der Leitung von Brudermeistern. Der Hauptzweck war die Durchführung der Matthiaswallfahrt, daneben caritative Tätigkeiten und regelmäßiges Gebet. Für die ersten Jahrhunderte gibt es so gut wie keine Zeugnisse, erst im 17. Jahrhundert verbessert sich die Quellenlage. Das Wallfahrtswesen wurde jetzt von Papst und Erzbischof gefördert, besonders die Matthias-Bruderschaften nahmen neuen Aufschwung. Die Wallfahrt wurden in der Regel zu Fuß unternommen und dauerte mehrere Tage. Etliche der heutigen Bruderschaften sind im 17. Und 18. Jahrhundert entstanden und blieben trotz Beschränkungen und Kriegszeiten der Wallfahrt nach Trier treu, auch wenn die Durchführung nicht immer in gewohnter Weise möglich war. Das Online Portal Rheinische Geschichte bietet hier auch für einzelne Bruderschaften Daten und Fakten.

Seit Beginn der Matthiaswallfahrt sahen die Benediktinermönche der Abtei St. Matthias die Betreuung der Pilger und Pilgerinnen als eine ihrer wichtigen Aufgaben. Einer der Mönche fungierte stets als „Pilgerpfarrer“, nur als das Kloster nach der Säkularisation und im Zweiten Weltkrieg aufgehoben war, übernahm die Pfarrei die Seelsorge für die Wallfahrt.

Bis heute pilgern die meisten Bruderschaften, die in fünf Bezirke gegliedert sind, zu Fuß nach Trier, teils über mehrere Tage und in Tagesetappen von bis zu 50 Kilometer. Daneben kommen Pilgergruppen mit Bussen, besonders wenn die Pilgerinnen und Pilger die weiten Fußwege nicht (mehr) bewältigen können. Sie kommen von Niederrhein und Rur, vom Mittelrhein und aus der Eifel, vom Hunsrück und aus dem Saarland. Im Herbst jedes Jahres finden in den Bezirken Bruderschaftstage statt, um die Gemeinschaften im Miteinander und geistlich zu stärken. Zweimal im Jahr versammeln sich die Brudermeisterinnen und -meister, um konkrete Fragen der Wallfahrt und Organisatorisches zu besprechen.

Die Hauptpilgerzeit umfasst zwei Wochen vor und zwei Wochen nach Pfingsten. Im Herbst gibt es eine kleine Pilgerzeit von einer Woche, manche Gruppen wählen auch andere für sie besser passende Termine oder nutzen besondere Anlässe in ihren Pfarreien für eine Wallfahrt nach St. Mattias.

Religiöse Motivation tritt stärker hervor

Bruder Athanasius Polag, Pilgerpfarrer seit 2013, vergleicht die Zeit vor der Pandemie mit der aktuellen Situation: 2019 zählten 92 Matthias-Bruderschaften etwa 11.100 Mitglieder sowie 75 Pilgergruppen ungefähr 1.500 Pilgerinnen und Pilger, von denen mehr als 6.650 nach Trier pilgerten, 699 von ihnen kamen zum ersten Mal. Danach konnten 2022 wieder Pilgerinnen und Pilger in St. Matthias begrüßt werden. Es waren über 4.000 aus 162 Bruderschaften und Pilgergruppen. Dazu sagt Bruder Athanasius: „Gewiss war das Erlebnis von Gemeinschaft wie stets ein zentrales Element der Pilgerfahrt, aber die religiösen Motive traten bei den Pilgern stärker hervor als früher. Der Bedarf an sehr ernsthaften Gesprächen war auffallend.“ Für 2023 rechnet er mit etwa 4.500 Pilgerinnen und Pilgern.

Das sieht ja ziemlich gut aus, lässt sich vermuten, allerdings zeigt das hauptsächlich die Entschlossenheit der Bruderschaften und Pilgergruppen zur Wallfahrt. Es gebe zunehmend Probleme Quartiere für unterwegs zu finden; bewährte Hotels und Pensionen bleiben nach der Pandemie geschlossen. Wegen Personalmangel lehnen Hotels Gruppen für eine Nacht ab; Gemeinderäume stehen nicht mehr zur Verfügung. Daher ordern Bruderschaften Standquartiere und fahren mit entsprechendem Aufwand von dort aus den jeweiligen Tagesabschnitt an. Außerdem steigen wie überall die Kosten der Pilgerfahrt. Daher brauchen die Bruderschaften ein neues Finanzmanagement und müssen zum Beispiel Sponsoren finden, um Jugendliche und Bedürftige bezuschussen zu können – auch dies ist eine neue Herausforderung.

In der Zukunft werden einige Bruderschaften sich auflösen, aber einige Pilgergruppen werden sich auch zu Bruderschaften entwickeln. Langfristig wird sich die Zahl wohl auf Zweidrittel der bisherigen einpendeln. Die Pilgerfahrten von Pfarreien oder anderen Gruppen zeigen eine steigende Tendenz, Menschen in der heutigen gesellschaftlichen und kulturellen Situation finden offenbar in der Matthiaswallfahrt passende Impulse.

Ingrid Müller, Pastoralreferentin i. R.